Die Versteigerung von No. 49

Kommunikation

Was ist das Trystero? Dies ist die Frage von Oedipa Maas, der Protagonistin in Thomas Pynchons "Versteigerung von Nummer 49", die sie mit verschiedenen Hinweisen, die ihr gegeben werden versucht zu klären. Dabei tritt die Suche nach dem Trystero in den Mittelpunkt Pynchons Erzählung. Geschrieben in 1965 behandelt "Die Versteigerung von Nummer 49" die zerteilte Gesellschaft der 60er Jahre mit dem Aufstieg der Drogenkultur, dem Vietnamkrieg, dem Mord an JFK und Martin Luther King und dem Kampf für Menschenrechte. Es war ein turbulentes Jahrzehnt, das weit von dem glücklichen, friedlichen, kleinbürgerlichen Dasein der Amerikaner der 50er entfernt war. In diese turbulente Welt reist Oedipa um das Puzzle des Trystero Systems zusammenzusetzen.

Genau so zusammenhangslos wie Die Welt des Kalten Krieges sind auch die Informationen, die Oedipa im Laufe des Geschehens erhält und die den Leser nicht genau wissen lassen, ob das Trystero Wirklichkeit oder nur eine Einbildung Oedipas ist.

Dr. Nefastis, eine Person von der Oedipa hofft Antworten zu bekommen, sagt ihr, dass sie empfindsam genug sein muss um mehr Informationen zu bekommen. Sie benötigt einen klaren Weg der Kommunikation. Kommunikation sei die Übertragung der Informationen. Jedoch ist in "Die Versteigerung von Nummer 49" jegliche Kommunikation verstummt. Verloren in dem verrückten Geist Oedipas.

Oedipas Suche nach dem Trystero in der turbulenten Welt der 60er und die Struktur des Romans an sich arbeiten zusammen, um bruchstückhafte Informationen wiederzugeben und anzudeuten, dass nur ein verständlicher Weg der Kommunikation dem Empfänger die Möglichkeit bietet die Informationen des Senders zu verstehen.

Oedipa ist eine 28 Jahre alte Frau, die von ihrem Leben gelangweit ist. Sie fühlt sich, als ob sie in einer schlichten und einfachen Welt gefangen ist, aus der sie am liebsten wie Rapunzel aus ihrem Turm ausbrechen wollte. Sie braucht ein Rätsel, und genau dieses bietet ihr das Trystero. Ein Rätsel um sie aus ihrem Schneckenhaus zu befreien.

Als Oedipa, die beginnt das Testament ihres toten Exfreundes zu verstrecken, stößt sie auf eine Verschwörung des Postsystems Trystero, die immer größer wird. Das erste Mal trifft sie auf einer öffentlichen Toilette auf das Trystero. Dort ist an die Wand folgendes geschrieben: "Wer hat Spaß am Besonderen? Ihr Eheweibchen, Freundinnen. Je mehr, um so lustiger. Nehmt Kontakt auf mit Kirby, nur per WASTE, Postfach 7391, L. A." (S. 54). Man fragt sich jetzt, warum Notiz nehmen von einer bedeutungslosen Nachricht an einer Toilettenwand? Es hat keine Relevanz für Oedipa noch für die Vollstreckung des Testaments von Inverarity. Eine weitere Eigenheit ist die Faszination, die sie für das Wort "Trystero" empfindet weil es im Theaterstück "The Courier's Tragedy" vorkommt: "Aber Gennaro endet mit einer höchst verzweifelten Anmerkung, die für das Publikum zur Zeit James' I. wahrscheinlich ein echter Schock gewesen ist, weil in ihr schließlich doch der Name genannt wird, den Angelo nicht nannte und den Nicoló zu nennen versuchte ... Trystero. Das Wort hing bei Aktschluss hoch in der Luft, als alle Lichter für einen Moment ausgeschaltet waren, es hing in der Dunkelheit und gab Oedipa ein Rätsel auf." (S. 80) Trystero, im Stück Nicolós Mörder. Zum Schluss hinterlässt er einen Brief mit dem Geständnis aller Sünden Angelos, des Stücks Schuft, der den Thron übernommen hat. Wegen dieses Briefes findet Oedipa Interesse an Trystero und seiner Position in der Postsystemverschwörung.

Nichtsdestotrotz erkennt der Leser, dass es sich um ein Theaterstück handelt und somit durchaus reine Fiktion sein kann. Dies kann sich jedoch jedes Mal wenn das Trystero im Roman auftaucht ändern. Und das tut es auch. Ein Gespräch zwischen Oedipa und Driblette, dem Regisseur von "The Courier's Tragedy" führt sie zu Zacks Buchhandlung. Dort findet sie ein Textbuch des Theaterstücks, indem sie einen Hinweis über das Trystero findet. Es gibt jedoch keine genaue Erklärung zu dem Trystero in der Kopie des Theaterstücks. Lediglich wird es flüchtig und aussagelos erklärt. Es existiert, jedoch nur als Wort. Oedipas Interesse an dem Trystero scheint für sie wie ein Zusammentreffen mit all den Zeichen zu sein, die sie plötzlich und vermehrt zur gleichen Zeit erkennt. Kann das Zufall sein? Doch Zufall oder nicht, Oedipa brauchte ein Rätsel und das Trystero hat ihr es gegeben.

Auf ihrem Weg das Geheimnis des Trysteros zu entschlüsseln begegnet sie Dr. Nefastis, der an seiner Maxwell'schen Dämon Maschine arbeitet. Er erklärt ihr: "'Kommunikation ist der Schlüssel' , rief Nefastis. 'Der Dämon gibt seine Daten an den Sensitiven weiter, und der Sensitive muss entsprechend antworten.' ... 'Der Sensitive muss dieses bebende Energiebündel empfangen und ein Feedback von ungefähr gleicher Informationsmenge liefern können.' ... 'Säkular gesehen tut sich nichts weiter als dass ein Kolben sich hoffnungsvoll bewegt.'" (S. 115). Dr. Nefastis Erklärung anhand des Maxwell'schen Dämons spiegelt Oedipas zersplitterte Suche wider. Er hat Recht: Kommunikation ist der Schlüssel. Der Schlüssel zu Oedipas Rätsel. Sie braucht einen klaren Weg der Kommunikation um alle Informationsnuancen zu entdecken und somit das Geheimnis um das Trystero System zu lösen. Sie muss empfindlich genug sein. Durch das Treffen Dr. Nefastis treibt es Oedipa an auf die Straßen von San Francisco zu gehen um empfindlich auf alle Zeichen des Trysteros zu sein, die sie umgeben. Auf den Straßen trifft sie alle möglichen Leute, die als sie ihr von Dingen aus ihren Leben erzählen, auf wundersame Weise mit dem Trystero in Verbindung gebracht werden können. In einer Schwulenbar stolpert sie über einen anonymen Inamorato, der das Posthorn des Trystero Systems als Gruppensymbol benutzt (S. 127). Die Kinder, die in der Dunkelheit spielen und über das "Turning Taxi" singen, veranlassen sie dabei gleich an das legale Postsystem "Thrun and Taxis" zu denken (S. 130). Auch sieht sie das Posthorn auf dem Arm eines alten Mannes tätowiert. All dies sind Teile von zersplitterten Informationen, die in keinem Zusammenhang zueinander stehen. Ihr Zusammenhang wird lediglich in Oedipas Phantasie aufgebaut. "Und irgendwie war jede Entfremdung, jede Art des Rückzugs oder der Verweigerung -entweder auf dem Manschettenknopf oder als Abziehbild oder als gedankenlose Kritzelei- mit dem Posthorn versehen. Sie war so darauf eingestellt, es jeden Augenblick zu sehen, dass sie es vielleicht in Wirklichkeit gar nicht so oft sah, wie es ihr vorkam, wenn sie sich daran erinnerte. Zwei- oder dreimal hätten sie nun wirklich ausgereicht. Oder war das schon zu viel?" (S. 135/136).

Oedipa weiß nicht einmal, ob die Dinge, die sie auf den Straßen San Franciscos sieht real oder fiktiv sind. Sie sieht die Informationen in ihrer Umgebung und verbindet diese mit dem Mysterium des Trystero Systems. Jedoch sind die Informationen zersplittert und aus den chaotischsten Situationen Kaliforniens entnommen, so dass keine klare Art der Kommunikation entsteht und somit es für Oedipa nicht möglich ist, all die gegebenen Informationen zu deuten. Sie kann nur Dinge aufnehmen, die sie undeutlich erreichen und somit auch nur undeutliche Schlüsse aus diesen Informationen gewinnen.

Die Informationskommunikation zum Leser ist ebenfalls gedämpft. Obwohl der Roman nicht in der Ich-Perspektive sondern von einem Erzähler wiedergegeben wird, und das Bewusstsein Oedipas geschildert wird, weiß der Leser nie mehr als Oedipa selbst. Der Leser befindet sich auf der gleichen Suche nach dem Trystero wie Oedipa und ist letztendlich von dem Mysterium mehr verwundert als Oedipa selbst. Die Informationen, die Kalifornien für Oedipa bereitstellt sind bereits zersplittert: Die Nachricht an der Toilettenwand, "The Courier's Tragedy", die Leute, denen sie begegnet. Nichts von dem ist mit einander in Verbindung zu bringen. Es gibt sie, doch sie sind bedeutungslos. Dies lässt den Leser in einem Zustand des Dilemmas, nicht wissend, ob er an die Empfindlichkeit Oedipas und ihr Trystero System glauben soll oder nicht. Ist Oedipa hinsichtlich des Trysteros zu der richtigen Schlussfolgerung einer Verschwörung gekommen?

Ein weiterer Aspekt, der zum Thema Zersplitterung passt ist das Ende des Romans. Die letzten Zeilen des Romans lauten: "Der Auktionator räusperte sich. Oedipa lehnte sich zurück und wartete auf das Versteigerungsobjekt No. 49" (S. 203). Oedipa sitzt da und wartet, womit Pynchon dem Leser die Frage ob das Trystero nun Wahrheit oder Fiktion ist offen lässt. Er gibt darauf keine klare Antwort und verstärkt somit seinen Roman, in dem er den Leser unwissend lässt. Informationen sind zersplittert. Das ist die Aussage, die dem Leser auf Oedipas Reise vermittelt wird. Ohne eine klare Kommunikation können Informationen nicht weitergegeben werden.

Sowohl Oedipas Rätsel um das Trystero als auch die Struktur des Romas offenbaren die Erforderlichkeit einer funktionierenden Kommunikation um ein Verständnis zu erzeugen. Der Mangel an Kommunikation lässt sowohl Oedipa als auch den Leser am Ende nicht das Geheimnis des Trysteros erfahren. Verdeutlicht wird das im Gespräch mit Dr. Nefastis, als er Oedipa vom Maxwell'schen Dämon und ihrer Empfindlichkeit gegenüber den Zeichen des Trysteros erzählt. Die Frage aber ist: Sollten wir Oedipas Empfindlichkeit vertrauen oder nicht? Sie ist schließlich nur eine hoffnungslose und gelangweilte Hausfrau, die ein Rätsel benötigt. Sind die Dinge, die sie entdeckt wirklich da draußen in der Welt und warten darauf von ihr entdeckt zu werden? Sind wir empfindlich genug um den Roman und somit Oedipas Suche zu verstehen? Sie gibt dem Trystero einen Sinn indem sie Stückchen und Teile aus zusammenhangslosen Leben zusammensetzt, ohne diese genau zu kennen. Alles was wir über das Trystero wissen, wissen wir durch Oedipa. Thomas Pynchon spiegelt die zusammenhangslosen 60er Jahre wider, in denen alles isoliert und bedeutungslos war. Letztendlich fragt sich der Leser was der Sinn des Romans ist. Warum hat sich Oedipa auf die Reise begeben das Trystero zu entschlüsseln, kommt dann aber doch zu keinem Ergebnis? Pynchon kreiert eine Welt ohne große Bedeutung und regt den Leser dazu an, sich selbst Gedanken zu machen, in seiner eigenen Vorstellungskraft. So wie Oedipa versucht hat einen Sinn aus dem Trystero zu ziehen. Wie Dr. Nefastis sagte: "Kommunikation ist der Schlüssel" .

27.12.2006